Ich wollte meinen Debütroman gar nicht schreiben. Ich kannte die Geschichte ja gar nicht!
Irgendwann im Jahr 2015 habe ich die ersten Zeilen von Mücken an der Wand in meinen Computer getippt. Dass dieses Buch entstanden ist, war eher Zufall. Die Idee kam einfach so angesurrt – Bsssss! – und ich habe draufgeschlagen, weil sie mich irgendwie nervte. Ich wollte diese Geschichte eigentlich nicht schreiben, denn da war doch noch diese andere, die mich seit Jahren verfolgte und die sich nicht einfangen ließ. Durfte ich einfach dieses Buch schreiben und die andere Geschichte weiterschwirren lassen? Ja, ich durfte.
Seitdem ist viel passiert. Ich schreibe zurzeit an meinem vierten Roman. Aber zurück zum Debütroman: Ich habe mich beim Schreiben sehr schnell verliebt – in die Protagonisten. Ich habe mich gestritten – mit meinen Protagonisten. Ich habe Haarfarben ausprobiert – bei den meisten Protagonisten. Sie wurden von mir an- und aus- und umgezogen. Ich habe mir vieles von ihnen erklären lassen und ich weiß jetzt alles über Papageientaucher und kann theoretisch tätowieren. Wir haben zusammen die isländische Aussprache geübt, ich habe die Herkunft und Bedeutung ihrer Namen untersucht und mich mit ihnen in heiße Quellen gesetzt. Beim Schreiben habe ich viel über Menschen und ihre Gewohnheiten gelernt. Das ist vielleicht das Schönste.

Im Januar 2016 war der erste Entwurf fertig. Und dann ging die Arbeit erst so richtig los. Als erstes habe ich das Manuskript komplett umgeschrieben, damit der Leser gefühlsmäßig nicht überrumpelt wird. Danach habe ich die Geschichte vier- bis fünfmal durch den Fleischwolf gedreht. Heraus kam ein Manuskript, das ich meiner Lektorin Esther präsentierte, die mir als erstes zu verstehen gab: „Du kannst der Geschichte vertrauen!“ Das Lustigste an der Zusammenarbeit mit Esther war, dass es immer mehr Seiten wurden, je mehr wir rausschmissen. Wirklich! Die Geschichte und die Figuren haben dank der intensiven Arbeit viel mehr Tiefe und Farbe bekommen.
Bei meinem zweiten Roman Dorothy und der Parfümeur war es ähnlich und doch ganz anders. Wieder habe ich unglaublich viel gelernt. Wieder musste ich viel umschreiben, aber nicht so wie bei Mücken an der Wand. Wieder hat mir Esther geholfen und mich ermutigt. Wieder war ich unglaublich aufgeregt und dankbar. Als nächstes folgte LIL BOB, ein Roman über Musik. Dieses Buch hat mir während Corona den Arsch gerettet, wenn ich das so platt sagen darf. Und jetzt sitze ich am vierten Roman, schupse Wörter hin und her, wechsle Haarfarben und Hosen, lasse jemanden glücklich sein – oder lieber doch unglücklich? Es ist ein langer Weg. Aber wenn ich mir einrede, als Schriftstellerin nur ein Achselzucken des Universums zu sein, geht es eigentlich. Bevor ich vor Glück darüber, dass ich tue, was ich liebe, tot umfalle, möchte ich noch ein bisschen Motivation streuen und Mut machen. Vielleicht hilft es dem ein oder anderen ja, am Ball zu bleiben oder den Wunsch, ein Buch zu schreiben, einfach an den Nagel zu hängen!
Es war nie einfacher, ein Buch zu schreiben. Das heißt nicht, dass man es tun muss.
Ich habe das Gefühl, alle arbeiten gerade an einem Buch. Manche mit Herzblut und wildem Fleiß, andere gestresst mit einem Verlag im Nacken. Und bei manchen hat man das Gefühl, dass es irgendwie Gruppenzwang ist. Alle schreiben doch ein Buch, oder? Ich finde, wir sollten uns mal locker machen. Niemand muss ein Buch schreiben. Autoren sind keine besseren Menschen.
Warum du (k)ein Buch schreiben kannst
Falls du es doch tun willst: Es gibt leider sehr viele gute Gründe, kein Buch zu schreiben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es sich nicht rechnen (wenn man es in Geld bemisst); man braucht Zeit, die irgendwo abgezwackt werden muss; es kostet unglaublich viel Energie, sich in die Psyche mehrerer Personen einzuhacken; noch mehr Energie kostet es, Dinge auf Papier zu bringen, die für einen selbst so überraschend wie Springkraut sind; manchmal fehlt den Menschen in deinem Umfeld das Verständnis („Häh?! Du hast das Ding doch schon dreimal umgeschrieben. Warum noch mal? Hört das wieder auf?!“); und so weiter und so fort. Gibst du auf? Das ist okay! Denn ja, es ist verdammt anstrengend und man muss dranbleiben, wenn man ersthaft ein Buch schreibt. Aber wenn wir ein Kind gebären, gehen wir ja schließlich auch nicht zwischendurch nach Hause.
>>Hilfe, ich kann mir das Schreiben nicht leisten!<<
Wer schreiben will, braucht Geld zum Überleben. Das Schreiben an einem Buch wirft erstmal über viele Monate gar nichts ab. Auch nicht, wenn man einen Verlag hat, der einem einen kleinen Vorschuss bezahlt. Das ist kein Geld, von dem du leben kannst. Ignoriere es einfach. Du musst Geld verdienen (oder ein Polster oder einen Partner haben, der dich unterstützt), um dir das Schreiben zu leisten. Das ist hart, aber so ist es eben. Und kündige bloß nicht deinen Job, er ermöglicht dir das Schreiben! Wenn du schon ganz viel geschrieben hast und davon leben kannst, kannst du gerne kündigen. Mir egal! 😀
Ich persönlich arbeite als Übersetzerin (das habe ich schließlich studiert) und als Texterin, um mir das Schreiben von Romanen leisten zu können. Dafür kaufe ich dann eben kein neues Objektiv, gehe nicht häufig essen und bezahle keinen Babysitter, damit ich ins völlig überteuerte Kino gehen kann. Das spart übrigens auch viel Zeit! Womit wir beim nächsten Punkt sind:
>>Ich habe überhaupt keine Zeit zum Schreiben?!<<
Soso. Aber du hast Zeit, diesen Beitrag zu lesen? Du hast Zeit, Fotos zu posten? Du hast Zeit, Kaffee zu trinken und ein bisschen Mimimi im Internet zu machen? Dann hast du auch Zeit zum Schreiben. Wenn es wichtig genug ist, ist die Zeit da. Eine Stunde am Tag oder in der Nacht schafft man immer. In der Zeit kannst du schon ein paar Hundert Wörter schreiben. Oder nimm dir eine bestimmte Anzahl an Wörtern vor, die du am Tag schreiben willst. 500! 1000. 2000?
Mir hat es geholfen, ein Mindestpensum von 500 Wörtern pro Tag zu schreiben. Da ich während der intensiven Schreibmonate nahezu keine Bücher lesen konnte, hatte ich massig Zeit. (Und ja, natürlich habe ich auch geschummelt. Ich habe schließlich keinen Schreibzwang. Schreiben soll nach Möglichkeit Spaß machen, sonst macht das Lesen auch keinen Spaß.)
>>Meine Protagonisten machen mich fertig…<<
Protagonisten können echt fies sein. Sie nerven, weil sie ständig irgendetwas wollen, das eigentlich nicht zur Geschichte gehört. Sie haben Sachen am Laufen, die wir nicht verstehen. Sie machen einfach, was sie wollen. Kurz: Protagonisten machen Autoren fertig! Aber: Wir entscheiden, was die Protagonisten machen. Wir entscheiden, ob sie wahnsinnig sind, genial, psychisch stabil oder labil. Es kommt vor, dass sie sich verselbstständigen und die Geschichte kapern. Wenn wir das nicht wollen, sagen wir STOPP und löschen einfach das Kapitel. So einfach. Dein Buch, deine Party. Wenn Protagonisten dich fertigmachen, musst du aufhören, dich selbst fertigzumachen. Sie sind deinem Gehirn entsprungen. Du kannst sie einfach rausstreichen, wenn sie doof sind. Oder du fragst sie mal, warum du dich selbst fertig machst.
Ich entwerfe meine Protagonisten so, dass ich gut mit ihnen zusammenarbeiten kann. Natürlich sind auch mal Arschlöcher dabei, aber die bekommen einfach einen Hexenschuss von mir. Die anderen dürfen wachsen und sich entwickeln.
>>Keiner versteht mich. Mein Buch und ich sind ganz alleiiiiin!<<
Du willst ein Buch schreiben. Niemand muss das verstehen. Wichtig ist nur, dass du weißt, warum du das machst. Vielleicht, weil du dein Fachwissen weitergeben möchtest. Vielleicht, weil die Ideen dich kitzeln und endlich raus wollen. Vielleicht, weil du Erlebnisse verarbeiten musst und Schreiben einfach die beste Therapieform für dich ist.
Wenn du auf Unverständnis stößt, denke immer daran: Es geht um dein Buch, das hat niemanden zu interessieren, bis du es zeigen möchtest. Und ein Partner, der dir das Gefühl gibt, dein Buch verdient es nicht, geschrieben zu werden, kann dir gestohlen bleiben. (Wenn das Geldargument kommt, frage einfach mal, wie viel er so verdient, während er vor der Glotze hängt.)
>>Ich bin einfach zu faul zum Schreiben.<<
Du bist zu faul zum Schreiben? Ich liebe dich! Du bist bestimmt ein Genießer, liegst auf einer gemütlichen Couch und liest Bücher und Blogs. Autoren brauchen Menschen wie dich. Bitte bleibe so! <3